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Unfaire Geschäftsbeziehungen zwischen Industrie und Handel neu ordnen!

Das Verhältnis zwischen Ernährungsindustrie und Lebensmitteleinzelhandel wird durch ein enormes Machtgefälle bestimmt: Auf der einen Seite produzieren rund 120 Betriebe der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie qualitativ hochwertige Lebensmittel, die die Grundlage für eine sichere und gute Versorgung der Bevölkerung in Deutschland bilden. Auf der anderen Seite kommt nur in den Handel, was den vier Einkäufern der marktbestimmenden großen Handelsketten schmeckt. Denn die vier größten Absatzmittler haben zusammen einen Marktanteil von rund 85 Prozent. Auf sie sind die Hersteller angewiesen.

Diese Abhängigkeit macht sich in den jährlichen Vertragsverhandlungen um Mengen, Preise, Varianten und Qualitäten in vielfältiger Weise bemerkbar. Alle Aspekte des Geschäfts – Einkaufsbedingungen, Logistik, Nachhaltigkeit und Compliance in der Lieferkette – werden vom Handel vorgegeben und stehen in der Regel nicht zur Diskussion. Gerade die vielen KMU in der Branche sind daher gezwungen Verpflichtungen einzugehen, die sie im Grunde kaum darstellen können.

Einkaufsbedingungen

Der BOGK beobachtet die Geschäftsbedingungen zwischen Industrie und Handel seit vielen Jahren. Auf seine Anregung hin hat die EU-Kommission zunächst eine Ombudsstelle für die Klärung von Fällen der missbräuchlichen Ausnutzung von Marktmacht geschaffen und – als diese sich als wenig effektiv erwies – mit der UTP-Richtlinie einige „rote Linien“ gesetzlich festgelegt, die nicht mehr überschritten werden dürfen, beispielsweise die Rücksendung nicht verkaufter Ware oder die Übernahme von Lagerkosten durch die Industrie. Auch wurden die Zahlungsziele einheitlich auf 60 Tage verkürzt (30 Tage für verderbliche Produkte).

Die UTP-Richtlinie wurde in Deutschland mit dem AgrarOLkG umgesetzt, welches bereits eine erste Revision erfahren hat. Eine Änderung der UTP-Richtlinie wird derzeit in der EU diskutiert.

In diesem Zusammenhang fordert der BOGK Nachschärfungen – insbesondere die Aufnahme von Praktiken der bisherigen „grauen Liste“ in die „schwarze Liste“. Dazu gehört das generelle Verbot von Listungsentgelten und die finanzielle Beteiligung an Aktionen und Verkaufsräumen des Handels. Weiterhin müssen alle Lebensmittelhersteller, unabhängig von der Größe ihrer Umsätze, in den Anwendungsbereich des Gesetzes einbezogen werden.

Ein besonderes Anliegen ist dem BOGK die Regelung des Falles der Unmöglichkeit zur Lieferung. Denn angesichts zunehmender Wetterereignisse infolge des Klimawandels steht die obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitende Industrie inzwischen häufig vor dem Problem, nicht liefern zu können, was vertraglich vereinbart wurde, weil die Rohware zur Verarbeitung schlicht fehlt. Was aber nicht gewachsen ist, kann nicht verarbeitet werden.

Der BOGK fordert, dass Klauseln zu Miss- und Minderernten zwischen Industrie und Handel verpflichtende Vertragsbestandteile sein müssen, und dass diese einen fairen Lastenausgleich zum Inhalt haben müssen. Weiterhin fordert der BOGK ein Recht des Lieferanten auf Neuverhandlungen der grundlegenden Vertragsbestandteile im Falle des Eintritts einer Miss- und Minderernte. Die Reform der Europäischen Agrarmarktordnungen (GMO) bieten dazu eine aktuelle Möglichkeit.

Logistik

In der Supply Chain zwischen Industrie und Handel kommt es seit Jahren zu praktischen und vertraglichen Schwierigkeiten. Die Qualität der im Tausch verwendeten Europaletten etwa verschlechtert sich bei jedem Umlauf, während allein die Industrie sich in der Praxis darum kümmert, neue Paletten in den Umlauf zu bringen. Die Kosten von Transportverpackungen und deren Entsorgung werden häufig allein von den Versendern getragen. Trotz immer schwieriger Verkehrslagen, die eine Kalkulation der Transportzeiten zunehmend unmöglich machen, bleibt es bei strengen kundenseitigen Vorgaben von Anlieferzeiten bei kurzen Lieferfenstern, verbunden mit hohen Vertragsstrafen bei deren Nichteinhaltung.

Der BOGK fordert eine klare Regelung der organisatorischen und finanziellen Verantwortung für Transportverpackungen – ob neu, im Einweg oder Mehrweg. Die gerade in Kraft getretene PPWR enthält hier zum Teil vollkommen unpraktikable Regelungen, z. B. hinsichtlich von Reifbändern. Diese müssen abgeschafft werden; weitere Regelungen sind darauf zu überprüfen, ob sie von Versendern überhaupt eingehalten werden können.

Nachhaltigkeit und Lieferkettengesetzgebung

Für die Betriebe der obst-, gemüse- und kartoffelverarbeitenden Industrie ist nachhaltiges Wirtschaften ein Grundpfeiler des gelebten Unternehmertums. Viele unserer Mitgliedsbetriebe sind seit Generationen im Familienbesitz, über 100 Jahre alt, und seit jeher den Prinzipien der Kontinuität und Verantwortung verpflichtet.

Die besondere Beachtung der natürlichen Lebensgrundlagen ist für Lebensmittelhersteller eine Selbstverständlichkeit. Nur saubere Böden, Wasser und Luft ermöglichen eine qualitätiv hochwertige Lebensmittelerzeugung. Die Unternehmen kennen auch die Notwendigkeit der Dokumentation ihrer Bemühungen in einer Zeit, die von Nachweisen, Audits und Nachhaltigkeitsberichten geprägt ist.

Die Kunden unserer Unternehmen stellen zunehmend konkrete Anforderungen an die Systeme zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Vorgaben betreffen zum Beispiel die Unterwerfung unter bestimmte Schemata, z. B. Ecovadis oder die Science Based Target Initiative (SBTI).

Der BOGK kritisiert die Zunahme von Berichtspflichten, die den Unternehmen über gesetzliche Anforderungen hinaus von Kunden auferlegt werden. Er arbeitet aktiv mit seinen Dachverbänden darauf hin, dass diese zumindest sachgerecht, machbar und wenig bürokratisch ausgestaltet werden. Im Idealfall würde sich die gesamte Lebensmittelkette auf einen einheitlichen Standard einigen, der die vielen nebeneinander bestehenden individuellen Codes of Conduct ersetzt.

Der Gesetzgeber sollte diesbezüglich vor allem darauf achten, dass die bestehende Bürokratie abgebaut wird. Dies betrifft vor allem auch die Lieferkettengesetzgebung, insbesondere das LkSG, die europäische CSDDD und weitere EU-Regelungen.

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